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Gastbeitrag von Martin Keymer

Hirngesundheit geht uns alle an! Angst, Stress, Burnout und Depression – wie wir zurückfinden in ein sinnvolles Leben

Es ist ein Thema, das uns alle betrifft. Arbeiter ebenso wie Genies, Manager ebenso wie Künstler, Teenager ebenso wie Senioren – kurzum: die ganze Palette menschlicher Existenz. Machen wir uns bewusst, dass sich niemand mit einem psychischen Problem zuvor hätte träumen lassen, dass es ausgerechnet ihn einmal „erwischen“ würde. Denn wer plant schon depressiv zu werden oder sagt sich „eines Tages möchte ich unter einer dauerhaften, bleiernen Müdigkeit leiden“? Wer entscheidet sich bewusst für eine ewige emotionale Achterbahnfahrt?

CAREERS LOUNGE präsentiert Gastbeiträge: Martin Keymer
Begriffe wie ‚Burnout‘ oder ‚ADHS‘ haben den Mainstream erreicht

Begriffe wie ‚Burnout‘ oder ‚ADHS‘ haben den Mainstream erreicht. Früher war man „lethargisch“ oder „apathisch“, später fühlte man sich gestresst und überfordert. Irgendwann hatte das keine soziale Bedeutung mehr. Um Aufmerksamkeit zu erhalten, genügte es nicht zu sagen „Mann, bin ich gestresst!“. So erging es fast jedem. Viel wirkungsvoller war da schon „ich glaube, ich gehe in einen Burnout“.

Stress ist allgegenwärtig

Unser Leben bringt es zwangsläufig mit sich, dass man hin und wieder niedergeschlagen ist. Wir leben eben nicht in einem Paradies der Freiheit, der Weisheit und der Vernunft. Und die einen meistern Probleme leichter als die anderen. Gerade für diejenigen, die Begriffe wie Hoffnungslosigkeit, Gram und Angst längst verinnerlicht haben, sind Ungerechtigkeit, Kummer, Gewalt und Wahnsinn um uns herum ein ständiger Quell der Bestätigung.

Burnout nimmt zu

Auch wenn wir uns gerade jetzt aufgrund der unsicheren Zeiten vermehrt Ängsten, Druck und Stress ausgesetzt fühlen – schauen wir zurück, stellen wir fest, dass bereits 2011 „Stresstest“ zum Wort des Jahres gewählt wurde. Der Begriff „Burnout“ findet sich übrigens im selben Jahr auf Platz sechs der Liste. Und je mehr davon reden, umso mehr identifizieren sich damit. Klar ist: Wenn Menschen deprimiert, bedrückt oder melancholisch sind, hat dies in aller Regel real fassbare Gründe, die es zu erkennen und wahrzunehmen gilt.

Burnout / Fallout – erschöpft und nicht mehr leistungsfähig

Das Burnout-Syndrom (ausbrennen) und das Fallout-Syndrom (ausfallen) kennzeichnen Zustände absoluter emotionaler Erschöpfung mit ausbleibender Leistungsfähigkeit. Ist die Problematik vermehrt auf der körperlichen Seite, sprechen wir von Burnout, ist die Problematik speziell auf die Hirnausgangsleistung zu sehen, sprechen wir vom Fallout. Beides kann man als Endzustand einer Entwicklungslinie bezeichnen, die über frustrierende Erlebnisse zu Desillusionierung und Apathie sowie zu diversen psychosomatischen Störungen und depressiven Neigungen führt. Die seelischen, körperlichen und geistigen Kraftreserven sind aufgebraucht, im Ergebnis fühlt sich der Betroffene leer, matt, erschöpft und kraftlos. Es ist kein Treibstoff mehr im Tank, um den Kurs seines Lebens zu steuern. Stattdessen bewegt man sich antrieblos durch den Raum.

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Risikofaktor für Führungskräfte

Hinzu kommen Enttäuschungen wie z. B. durch den Vorgesetzten unfair oder nicht respektvoll behandelt zu werden, keine Unterstützung zu bekommen. Finanzielle und existenzielle Krisen, häufig gepaart mit einer ausgeprägten Opferhaltung, die in das Gefühl der Ohnmacht einmünden. Burnout gehört zu den Risikofaktoren für Führungskräfte, was dramatisch ist, weil sie bekanntlich lange Zeit brauchen, bis sie in der Lage sind, diesen „Job“ zu machen. Noch viel dramatischer ist der geschätzte volkswirtschaftliche Schaden – vor allem auch hervorgerufen durch diejenigen, die sich eben nicht krankschreiben lassen, aber kaum noch in der Lage sind, ihre Arbeit optimal auszuführen und kreativ zu gestalten.

Sinn- und Lebenskrise überwinden

Die weitverbreitete Ansicht, dass jemand mit Burnout nur Sport, gutes Essen, Erholung, Freizeit und Ferien braucht und sich dann schon alles richten wird, ist ein katastrophaler Fehler. Denn dadurch fühlt sich der Burnout-Patient nur noch wertloser und nicht integrierbar. Je mehr es einem Therapeuten hingegen gelingt, den Burnout-Patienten zu reaktivieren, ihm bei der tiefsten Sinn- und Lebenskrise zu helfen, erneut Lebensziele zu stecken, umso erfolgreicher ist die Behandlung. Nicht Dauererholung ist die Lösung, sondern das Zurückfinden in eine sinnvolle und erfüllende Betätigung.

Depression

Depressionen sind die am häufigsten auftretenden psychischen Störungen. Unter einer Depression versteht man eine tiefe, schwere beständige Traurigkeit mit negativen Gedanken und Stimmungen, die den Betroffenen ganz und gar erfüllt. Ein psychisches Tief, ein emotionales Loch, in das jemand gestürzt ist, eine tiefe seelische Niedergeschlagenheit. Dies geht einher mit dem Verlust an Freude, Lustempfinden, Interesse und Antrieb gepaart mit Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, einem massiv verringertem Selbstwert. Dadurch kommt es zu einer deutlichen Reduktion der geistigen Leistungsfähigkeit.

CAREERS LOUNGE präsentiert Gastbeiträge: Martin Keymer
Das Sinnbild der Spirale

Das Sinnbild der Spirale

Betrachten wir unsere Gesundheit, so ist diese vergleichbar mit einer Spirale. Die äußeren Kreisbahnen sind noch sehr lang, aber je weiter wir in das Zentrum kommen, umso schneller dreht sich die Spirale. Auch die Entwicklung einer psychischen Erkrankung mit allen Vorstufen ist nicht linear, sondern exponentiell. Zunächst haben wir nur einzelne Tage, an denen wir „nicht so gut drauf sind“. Wir meinen, schlecht geschlafen zu haben. Sollten uns mal etwas erholen. Wir glauben, es wäre dieses oder jenes Problem, das wir in unserem Privatleben haben oder mit einem/r Mitarbeiter/in. Und älter werden wir ja alle. Tatsächlich haben wir auch gute Tage. So oder ähnlich versuchen wir uns Mut zu machen. Und dann kommen doch wieder diese Fragen: „Warum wird der Stress im Beruf immer mehr, die Zeit, die ich habe immer kürzer und der Stapel auf meinem Schreibtisch immer umfangreicher?“, „Warum komme ich abends nicht zur Ruhe, habe zunehmend Einschlafstörungen, wache nachts schweißgebadet auf, um am Morgen gar nicht mehr in die „Gänge“ zu kommen?“, „Warum wird der Chef immer gestresster und die Stimmung im Betrieb immer schlechter und hektischer?“, „Auch ein solcher Denkansatz ist typisch: „Ich glaube, ich brauche einmal einen längeren Urlaub und stelle zu meinem Entsetzen fest, dass ich schon eine Woche nach dem Urlaub das gleiche Gefühl habe wie vorher.“ Ohne es zu wissen, bin ich längst mitten im pathophysiologischen Geschehen.

Die wichtigsten Fakten in Bezug auf die Hirngesundheit

Das menschliche Gehirn gehört wohl zu den faszinierendsten Bauteilen des Gesamtkunstwerks der Schöpfung Mensch. Mit einem Gewicht von etwa 1.400 Gramm stellt es in etwa 2 % des Körpergewichts dar. Allerdings verbraucht es sagenhafte 20 % der gesamten Körperenergie.

Der Stress im hormonellen Szenario

Das limbische System wird bisher pauschal als Ort betrachtet, der ein Gesamtbild unserer psychischen Ausgangssituation im Hier und Jetzt erstellt. Um allerdings das Hormonsystem und seine Regulation in Bezug auf Stressreaktionen besser zu verstehen, müssen wir die beiden entscheidenden Bausteine des limbischen Systems näher kennenlernen:  

Im Corpus amygdaloideum (auch „Reptilien-Gehirn“ genannt) sitzt unser „Überlebenswille“. Noch bevor wir eine reale Gefahr wirklich wahrgenommen haben, springt es innerhalb von Millisekunden an. Zusammen mit dem Hippocampus (fälschlicherweise oft als Gegenspieler bezeichnet) bilden beide eine funktionelle Einheit, eine funktionierende Polarität zur Steuerung der neuronalen und hormonellen Reaktionen. Fünf wichtige und entscheidende Fakten:

  1. Nicht nur der Hypothalamus, sondern auch das Corpus amygdaloideum bilden das wichtige Releasing-Hormon CRH, das für die Freisetzung von ACTH und damit aller Stresshormone verantwortlich ist. CRH ist das Schlüsselhormon der Integration der hormonellen und neuronalen, somit also der neurobiologischen Stressreaktion.
  2. Corpus amygdaloideum und Hippocampus steuern die Verhaltensweise während einer Stressphase, hier besonders die Emotion Angst, und produzieren die damit in Verbindung stehenden Handlungsweisen wie zum Beispiel Flucht oder Angriff.
  3. Entscheidend ist, einen Stressor zunächst einmal wahrzunehmen, nicht im Übermaß zu reagieren und daraus zu lernen – mit dem Ziel, in Zukunft präventiv zu reagieren.
  4. Stress ermöglicht uns, vor den „richtigen Dingen“, sprich realen Gefahren Furcht zu haben, zum Beispiel vor einem zähnefletschenden Hund. So wird Stress vom unkoordinierten Stimulus zum Lernvorgang und zum konditionierten Stressor, was beim nächsten zähnefletschenden Hund sinnvoll ist. 
  5. Jede in Gang gesetzte Stressreaktion wird über den Hippocampus mit dem Cortex, insbesondere dem präfrontalen Cortex, kommuniziert und damit konfrontiert und reflektiert. Rückkoppelnd ist es dann auch gerade wieder der Cortex, der in der Lage ist, der Amygdala den entscheidenden Befehl zu geben, die Stressreaktion zu stoppen – wieder über den Hippocampus. Dieses Prinzip ist einer der wesentlichen therapeutischen Ansätze einer sinnvollen Psychotherapie.

Hippocamus entscheidend für Lernvorgänge

Bleiben wir noch einen Augenblick beim Hippocampus, denn schließlich ist ja nicht alles Stress bzw. ein lebensbedrohlicher Stressor – auch wenn man dies bei manchen Menschen meinen könnte, die von Angst, Aggressionen, Panik, Opferrollen etc. beherrscht werden. Erweiternd spielt der Hippocampus eine entscheidende Rolle bei Lernvorgängen. Er ist der Schlüssel der Kommunikation zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte, also zwischen dem logischen Verstand und dem Gefühl. Bei jedem Lernvorgang entstehen neue Verknüpfungen im Gehirn. Je öfter wir das Gelernte nutzen, umso mehr Leben geben wir diesen neuronalen Netzen und umso mehr ist unser Wissen präsent. Die Grundvoraussetzung zur Entstehung neuer neuronaler Netze ist also die Aktivität des Hippocampus, die Kommunikation zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte und dies unter vier elementaren Voraussetzungen: bewusst, konzentriert, absichtlich, zielgerichtet!

Dauerbelastung führ zu Schädigungen

Fakt ist: Der Hippocampus ist das mit am meisten genutzte Hirnareal, hat damit einen enorm hohen Stoffwechsel und ist deshalb gefährdet. Ständige Überreizungen durch Dauerstress, Angst, posttraumatische Störungen etc. führen unmittelbar zu Schädigungen der neuronalen Systeme, zu Degenerationen und zur Minimierung der Dendritenbäume und damit zu einer Abnahme der Synapsen. Dadurch wird das System – eigentlich sinnvoll bei Dauerbelastung – immer unempfindlicher. Ein Teufelskreis: Je mehr der Hippocampus geschädigt wird, umso weniger Kontrollfunktionen kann er auf das Corpus amygdaloideum ausüben, mit anderen Worten: Überreaktionen sind immer mehr Tür und Tor geöffnet, wir sind anfälliger für Stress und unsere Stressresistenz ist vermindert.

Kaum etwas ist individueller als die persönliche Stimmung

Freude, Glück, Fröhlichkeit und auch die Verstimmung des Gemüts haben eine große Bandbreite und eine Fülle an Hintergründen und Varianten. Verstimmungen sind nicht einfach nur Stress, sie werden im Ergebnis von unserem limbischen System auf den Thalamus übertragen und schreiben sich so in unsere zentrale Regulation ein. Geht es darüber hinaus, verselbstständigt sich die Verstimmung und führt zu langanhaltenden Gemütszuständen und den daraus resultierenden Emotionen. Wichtig ist, dass alle Verstimmungen – aber auch alle Freuden – auf die gleichen Signalwege im Hormonsystem und Nervensystem zurückgreifen. Damit haben wir eine Manifestation des Gemütszustandes und seiner Emotionen auch auf hormoneller und neurovegetativer Ebene.

Allerdings möchte ich davor warnen, Depressionen (tiefe, schwere Traurigkeit, bleierne Schwermut), bipolare Störungen (der ständige Wechsel zwischen Depression und Euphorie), CFS (ständige Müdigkeit und Erschöpfung) oder Burnout/Fallout als vorrangig körperliche Probleme zu betrachten. Sicherlich, alle Dinge, die wir hier angesprochen haben, insbesondere die Hirngesundheit, die Verbesserung der Hirnausgangsleistung oder der Aufbau neuronaler Strukturen sind auch bei psychischen Erkrankungen sehr hilfreich. Aber ohne ein echtes, wirksames psychotherapeutisches Konzept wird sich nichts ändern.

Verantwortung für sich selbst übernehmen

Die ewigen Themen der Angst, Wut, Aggression, der ewige Mythos der Lebensgeschichte, die sich in den drei Charakteren Opfer, Retter und Tyrann ausdrücken, der Mangel an Selbstwert, dem Gefühl der Verlassenheit, der Getrenntheit und die ewige Frage nach dem Sinn des Lebens und die ewig nicht beantwortete Frage „Wer bin ich wirklich und wahrhaftig vor mir selbst“ mit der sich daraus ergebenden Problematik der mangelnden Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, bilden den wesentlichen Hintergrund – um zurückzufinden in ein sinnvolles, glückliches und gesundes Leben.

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