Gast-Interview mit Steffen Kirchner
„Die mentale Revolution“
Herr Kirchner, mit Ihrem neuen Buch wollen Sie eine mentale Revolution anzetteln. Was verstehen Sie darunter?
Wir leben heute in einer sehr komfortablen Situation mit so viel Wohlstand wie nie zuvor. Und trotzdem sind wir weder glücklicher noch friedlicher. Im Gegenteil: Unsere innere Leere wird immer größer. Das merken wir nicht nur durch immer mehr Burn-out-Erkrankungen, sondern auch dadurch, dass alle unsere Systeme immer wackeliger und brüchiger werden. Ob das unser Bildungssystem, das Bankenwesen, politische Systeme oder das Gesundheitssystem sind – sie alle haben ihr Ablaufdatum erreicht. Generell brauchen wir bessere Verhaltensmuster, bessere Umgangsformen mit uns selbst, miteinander, mit Tieren und mit unserer Erde. Um aber neue Systeme aufzubauen und die Gesellschaft und die Welt in eine neue Zeit zu bringen, müssen wir erst einmal lernen, anders zu denken. Wir brauchen also zunächst eine Revolution im Innen, bevor sie im Außen stattfinden kann.
Was müssen wir denn konkret tun, um uns mental neu aufzustellen?
Im ersten Schritt müssen wir unsere mentalen Muster, also unsere Überzeugungen erkennen und beobachten. Denn wir brauchen ein Bewusstsein dafür, welche Denkmuster, Glaubenssätze und Überzeugungen wir haben. Im zweiten Step müssen wir in die Analyse gehen und erkennen, welche Muster nicht mehr zu der Welt passen, in der wir heute leben. Wir müssen uns fragen, ob wir damit noch die Antworten auf die Fragen geben können, die sich uns heute stellen, oder ob sie uns eher Antworten auf Fragen von gestern liefern. Diese alten Muster gilt es zu durchbrechen und durch neue, bessere und passendere zu ersetzen.
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Wenn unsere bisherigen Denkmuster und Erfolgskonzepte nicht mehr verfangen – welche Ansätze sind denn stattdessen gefragt?
Wir leben häufig noch nach dem berühmten additiven Prinzip, wollen also immer noch eins draufsetzen. Alles muss das Beste sein, von der Ausbildung bis zum Job. Der „normale“ Job reicht nicht mehr, wir müssen Abteilungsleiter sein. Eine Wohnung genügt nicht, es muss das eigene Haus sein, und am besten auch gleich noch ein schöneres und besseres Auto als der Nachbar. Wir denken, wenn wir genug gesammelt, also hinzugefügt haben, sind wir irgendwann am Ziel. Dort kommen wir jedoch nie an. Stattdessen fühlen wir uns schwer ums Herz und wünschen uns in erster Linie Leichtigkeit. Die bekommen wir aber nur durch Loslassen, also das Prinzip der Subtraktion.
Außerdem müssen wir eine neue Fehlerkultur erschaffen. Wir brauchen Mut, Fehler zu machen. Denn Erfolg bedeutet heute „machen“; nicht, wie bisher, „richtig machen“. Wir müssen also unser Sicherheitsdenken hintenanstellen. Für Neues gibt es ohnehin keine Erfahrungswerte – Stichwort: Corona. Aber auch für die radikale Veränderung und den Strukturwandel, den wir zurzeit im Arbeitsmarkt erleben, haben wir keine Erfahrungswerte, auf die wir setzen können. Also müssen wir uns mehr auf die Intuition, die Innovation und unsere Kreativität verlassen. Kurzum: Wir brauchen mehr Mut zur Lücke.
In Ihrem Buch arbeiten Sie mit den beiden Kategorien „Misserfolgsvermeider“ und „Erfolgssucher“. Was unterscheidet die beiden und wie kann ich mich zum Erfolgssucher entwickeln?
Der Misserfolgsvermeider sucht Sicherheit und hält die alten Prinzipien hoch, versucht Fehler zu vermeiden und greift auf Erfahrung zurück. Er verwahrt den Bestand und verwaltet der Erfolg, weil er Angst vor Zerstörung und Entwicklung hat. Das ist der langsame, aber sichere Tod. Der Erfolgssucher hingegen übernimmt Verantwortung, ist bereit für Neues und weiß, dass Sicherheit nur eine Illusion ist. Er richtet sich mental auf das Erreichen von Chancen aus und sucht Wachstum, auch wenn ihm dabei der ein oder andere Fehler unterläuft. Aus diesen Fehlern lernt er und gestaltet sein Leben neugierig und selbstständig. Wir können uns in kleinen Schritten zum Erfolgssucher entwickeln, ohne in Schwarz-Weiß zu denken, ohne alles von rechts auf links zu drehen und ohne radikal alles zu verdammen, was in der Vergangenheit erfolgreich war. Stattdessen müssen wir dem eigenen Denken und Tun eine neue Farbe geben, das Gute des Bisherigen mitnehmen und durch Neues ergänzen. Es geht immer um die Erweiterung von Möglichkeiten.
Sie sagen, dass sich die meisten Menschen eher zurückhalten und sich in einer ständigen Underperformance bewegen. Woran liegt das?
Zum einen liegt es daran, dass die meisten Menschen ihre eigenen 100 Prozent gar nicht kennen. Zum anderen an unserem gesellschaftlichen Umgang mit Misserfolgen. Wir reagieren auf Fehler und Scheitern von anderen häufig mit Verurteilung und Ausgrenzung. Wenn Menschen also 100 Prozent geben, gefühlt vielleicht sogar 120 Prozent, und sich verbrennen, sind sie danach nur noch bereit, vielleicht 70 Prozent zu geben. Sie wollen nicht noch einmal scheitern oder versagen und denken, dass sich der hohe Aufwand gar nicht lohnt. Die Konsequenz aus den Schmerzen des Scheiterns ist, dass sie sich Ziele nur noch möglichst klein setzen, um sicherzugehen, diese auch zu erreichen.
Woran kann ich denn letztlich feststellen, dass meine persönliche mentale Revolution geglückt ist?
Das erkenne ich, wenn ich in meinem Leben Entwicklung bemerke – sowohl in Quantität als auch in Qualität. Wenn ich bereit bin, mutige Entscheidungen zu treffen, wenn ich aktiver und agiler werde und wenn Neues geschieht. Ein weiteres Zeichen ist, dass ich in der Lage bin, mit dem, was nicht funktioniert, besser umzugehen sowie mit dem steigenden Grad an Unsicherheit, der in meinem Leben entsteht. Der wichtigste Punkt aber ist, dass ich im Inneren erfüllter bin. Statt auf die klassischen Erfolgsparameter und Zahlen achte ich stärker darauf, ob ich die richtigen Dinge mache, die mich weiterbringen, dahin wo ich Neues lerne. Dann habe ich mich als Mensch entwickelt und fühle, dass mich dieser Erfolg auch erfüllt.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
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