Gastbeitrag von Dr. Simon Sagmeister
Disrupt your culture 2022 5 Hacks, um JETZT kulturelle Spuren zu setzen
Inhaltlich hat, wer immer den Satz tatsächlich ausgesprochen hat, zweifellos recht. Wie leicht die Kultur das ausgeklügelte, strategische Vorhaben zum Frühstück verspeist, erleben wir tagtäglich: Gute Vorsätze verpuffen, Zustimmung erweist sich als oberflächlich und „irgendetwas“ sorgt dafür, dass nicht das passiert, was eigentlich passieren sollte.
Kulturelle Spuren
Kultur ist mächtig. Sie ist Herz, Verstand und Seele einer Organisation. Sie bestimmt, wie die Organisation wahrnimmt, denkt, fühlt – und konsequenterweise auch handelt. Kultur ist Informationsfilter und Interpretationshilfe. Sie schafft eine Wirklichkeit, an die Menschen eines sozialen Systems glauben, um sie nicht mehr hinterfragen zu müssen.
Wesentliches Element des Konstruktionsprozesses dieser Wirklichkeit ist die Habitualisierung: Handlungen, die sich bewährt haben, werden wiederholt und so zur Gewohnheit. Das spart eine Menge geistiger Ressourcen. Wir könnten gar nicht existieren, wenn wir jede einzelne Handlung jedes Mal erneut hinterfragen müssten. Übernehmen andere diese Handlungen, werden sie institutionalisiert und die „Wahrheiten“ breiten sich aus. Eine solche institutionalisierte Wirklichkeit ist die Grundlage jeder sozialen Ordnung. Sie gibt den Menschen Routine und Sicherheit und der Zusammenarbeit gibt sie Verlässlichkeit. Erfahrung gräbt sozusagen Spurrillen ins Gehirn und in die Unternehmenskultur.
Eigentlich ein positiver Effekt, birgt dieser auch eine Gefahr: Denn wer immer den gleichen Weg geht, erlebt wenig Neues. Irgendwann graben sich die Spuren so tief ein, dass man kaum mehr nach links oder rechts blickt.
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Nicht warten – starten: 5 außergewöhnliche Culture Hacks
„Kulturentwicklung braucht Zeit. Die Strategie können wir recht schnell ändern, aber die Veränderung unserer Kultur braucht Jahre.“ Eine weit verbreitete Annahme – und ebenso gefährlich, denn sie verleitet zum Zögern. Dabei gibt es keinen Grund, mit den ersten Spuren zu warten. Es mag seine Zeit brauchen, bis genug gesetzt sind, um dadurch den für alle einladenden neuen Weg zu zeichnen. Aber Leader, die das tun, werden ihre Follower finden. Und es entsteht eine Bewegung, die den neuen Weg definiert. Dabei sollte sich wirkungsvolle Kultur-Entwicklung vor allem nicht auf eines beschränken: Maßnahmen, oft ersehnte, große Hebel. Im besten Fall wirken sie systemverändernd, ganzheitlich und nachhaltig. Dementsprechend kosten sie meist auch sehr viel Aufwand und Geld.
Kleine Impulse: Hacks
Hacks folgen einer anderen Logik: Es sind kleine Impulse, die aber in ihrer Wirkung emotionalisieren und unmittelbar spürbar sind. Gute Hacks sind sichtbar – man spricht darüber. Sie kosten wenig, nicht einmal besonders viel Zeit. Man braucht dafür keine HR-Abteilung und kein umfangreiches Projektmanagement. Was man braucht, ist Mut. Denn gute Hacks irritieren bestehende Gewohnheiten. Es sind Musterbrüche. Hier eine Auswahl an erfolgreichen Hacks, die mir in den letzten Jahren begegnet sind:
Hack 1 #Just DU it!
Du-Kultur oder nicht? In traditionellen Unternehmen ein Thema, das besonders oft und emotional diskutiert wird. Häufig ist es das mittlere Management, das dem befürchteten Hierarchie- und Statusverlust skeptisch entgegenblickt. Es gibt Beispiele, in denen die Du-Kultur von ganz oben angeordnet wurde. Es gibt aber auch Beispiele, in denen die Sie-Kultur ganz einfach von unten gehackt wurde – wie in einem bekannten deutschen Industrie-Unternehmen: Dort hatte ein Mitarbeiter damit begonnen, Hashtags à la „Just DU it“ oder „Gerne per Du“ in seiner E-Mail-Signatur und im Intranet-Profilfoto anzubringen. Was zu Beginn irritierte, fand schnell Nachahmer – oder besser: weitere Hacker! Immer mehr schlossen sich der Du-Bewegung an. Immer größer wurde der Druck auf die Sie-Bewahrer, mitzuziehen. Irgendwann waren die Siezer in der Minderheit, kurze Zeit später ganz verschwunden. Die Kultur hatte sich geändert – ausgehend von einem Hack.
Hack 2 #Geh-Spräche
Ein Manager beklagte den Mangel an Empathie und persönlicher Nähe in seiner Organisation – obwohl die Menschen viel Zeit in gemeinsamen Sitzungen verbringen und eigentlich die Möglichkeit hätten, bessere Beziehungen aufzubauen. Inspiriert von einem Bericht über Steve Jobs fasste er den Beschluss, die Kultur über Geh-Spräche zu hacken. Steve Jobs war nämlich bekannt dafür, wichtige Gespräche nicht im Office, sondern bei einem Spaziergang zu führen. Kurzerhand war der Hack geboren: Der Manager hinterlegte bei den Outlook-Meeting-Einladungen neben den Sitzungszimmern auch Spaziergang-Routen. Mit einem Klick konnte man anstatt der üblichen Sitzung auch ein Geh-Spräch buchen. Das Angebot wurde begeistert angenommen. Der Hack veränderte nicht nur die Sitzungskultur, sondern vor allem die Qualität der Gesprächsergebnisse.
Hack 3 #Vier gewinnt
Apropos Sitzungskultur. Eine Abteilungsleiterin beschloss, der ausufernden Sitzungskultur in ihrer Organisation Einhalt zu gebieten. Sie erlaubte nur noch maximal vier Personen im Sitzungszimmer. Ein Schild am Sitzungsraum signalisierte, wenn dieser voll besetzt war. Wollte eine fünfte Person hinein, musste zuerst jemand den Raum verlassen. So besagte es die Hack-Regel.
Hack 4 #Unglaubliche Kennzahlen
Was tun, wenn man das Gefühl hat, die Kultur versteht zu wenig von Markt und Kunden? Ein Manager hackte sein Umfeld damit, dass er jeden Montag eine andere unglaubliche Kennzahl für alle sichtbar im Eingangsbereich und in den Liften anbrachte. Dazu gab es vier mögliche Erklärungen, worum es sich bei der Zahl handelt. Am Freitag folgte jeweils die Auflösung. Zwischen diesen Tagen diskutierte man in der Organisation neugierig die unglaubliche Kennzahl und was es wohl sein könnte – mal war es die Anzahl der Anfragen im Call-Center, die Zahl an neuen Lehrlingen, der NPS Score oder auch die Zahl an Nicht-Kunden, die trotz Interesse am Unternehmen nicht kaufen.
Hack 5 #The Offer
Mit „The Offer“ ging Tony Hsieh, Internet-Pionier und Gründer des Online-Schuhhändlers Zappos, in die Culture Hacking-Geschichte ein. Nach dem Einstiegstraining und einigen Wochen im Unternehmen bot er den Neuankömmlingen eine Prämie in Höhe von 2000 Dollar an – wenn sie sofort kündigten. Tony Hsieh erklärte das Motiv dahinter so: „Wir möchten, dass bei Zappos nur Leute sind, die hier sein wollen und an unsere Kultur glauben. Wenn sie merken, dass sie nicht hierher passen, dann sollen sie auch nicht hier festsitzen – daher lassen wir ihnen die Wahl.“ Nur sehr wenige Mitarbeiter nahmen das Angebot an. Der Großteil wählte die langfristige Zugehörigkeit und entschied sich bewusst dafür, Teil der Zappos-Kultur zu sein und zu bleiben. Der Hack selbst war natürlich höchst emotional und sichtbar – es wurde über die Unternehmensgrenzen hinaus darüber berichtet. Er wirkte zudem unmittelbar. Und in den Augen von Tony Hsieh war es allemal günstiger, die 2000 Dollar zu bezahlen, als Mitarbeiter an Bord zu haben, die nicht voll mitziehen.
Fazit: Jede und jeder einzelne kann Kultur-Beweger sein. Anstatt sich damit abzufinden, dass die Kultur die Strategie zum Frühstück verschlingt oder darauf zu warten, dass jemand anders (z.B. die HR-Abteilung) die Kultur der Organisation endlich ändert, sollten insbesondere Führungskräfte den Spieß einfach umdrehen: Noch vor dem Frühstück kann man Impulse setzen, die gewohnte Muster brechen und neue Spuren entstehen lassen. Culture Hacks wirken. Der Aufwand ist gering – die Wirkung kann umso größer sein. Also: Disrupt your culture 2022!
Weiterführende Lektüre:
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