Gastbeitrag von Ulrike Stahl
Das WIRus im Virus
Die Mitarbeiter aktiv in die Bewertung der Situation und die Lösungssuche einzubeziehen, ist wichtiger denn je: für Unternehmen, Führungskräfte und für die Mitarbeiter selbst.
Die Zeiten für Einzelkämpfer und Silodenken sind vorbei
Es ist gerade so verlockend, in die alte Einzelkämpfermentalität oder das betagte Silodenken zu verfallen. Echte Zusammenarbeit in der digitalen Welt braucht Übung und Disziplin oder – ohne beides – einfach viel mehr Zeit. Davon hatten wir schon vor der Krise nicht genug. Nun belasten Kurzarbeit und Krisenthemen das Zeitbudget zusätzlich.
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Die Folge: Echte Zusammenarbeit wird auf das Nötigste reduziert. Meetings werden zu Verkündungsorgien, in denen Diskussion und Austausch auf der Strecke bleiben. Statt auf gemeinsame Meetings wird auf telefonische Zweierabstimmungen gesetzt. Wichtige Informationen gehen in den E-Mail-Fluten verloren. Schlimmer noch: In vielen kleinen und mittleren Unternehmen steht die technische Ausstattung für virtuelle Zusammenarbeit noch nicht zur Verfügung oder wird nur zögerlich genutzt. Die Distanz reduziert den Informationsfluss zusätzlich, denn Kaffeeküchengespräche und Flurfunk entfallen ersatzlos. Viele Mitarbeiter berichten, dass sie sich im Homeoffice regelrecht abgehängt fühlen und vereinsamen. Dabei sind das WIR-Gefühl und die darauf basierende Kollaboration das beste Mittel, um Veränderungen und Krisen erfolgreich zu meistern.
Kollaboration ist wichtiger denn je: für Unternehmen, Führungskräfte und für die Mitarbeiter selbst.
Warum Unternehmen echte Zusammenarbeit gezielt fördern müssen:
Ein "kleines" Virus, das niemand im Blick hatte, führt weltweit zum Shutdown des Lebens und der Wirtschaft. Eine nicht sichtbare Einflussgröße entfaltet unglaubliche Wirkung. Das ist es, was Komplexität ausmacht. Lösungen findet nur, wer auf Basis unterschiedlicher Perspektiven die Situation einschätzt und daraus mögliche Szenarien entwickelt. Es braucht mehr Innovationsgeist denn je, um die Chance in der Krise zu entdecken. Eine Innovation ist weit mehr als eine Erfindung! Sie ist die breite Durchsetzung einer Neuerung am Markt. Während Erfindungen meist von Einzelpersonen gemacht werden, gelingen Innovationen nur durch übergreifende Zusammenarbeit. Innovationsmethoden wie Design Thinking sind gerade deshalb so erfolgreich, weil sie Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen zusammenbringen.
Warum Führungskräfte auf echte Zusammenarbeit setzen müssen:
Führungskräfte schultern eine größere Last denn je. Sie sehen sich mit existentiellen Unternehmensfragen konfrontiert und fühlen sich gleichzeitig gefordert, ihre Mitarbeiter durch eine Situation zu führen, mit der sie selbst keine Erfahrung haben. Wem das Delegieren schon bisher schwer fiel, ist besonders gefährdet. Viele Führungskräfte haben den Eindruck, dass sie mit Stärke und entschlossenem Handeln glänzen müssen. Das ist aber nicht nur unglaubwürdig, sondern auch gefährlich. Jetzt ist der Moment, auch einmal zu sagen, ich habe gerade selbst keine Lösung parat, aber lasst uns zusammen nachdenken. Wichtig ist, dann wirklich zuzuhören und sicherzustellen, dass jede Idee gehört und wertgeschätzt wird. So fördern wir das WIR-Gefühl. Dieser Prozess mag in der aktuellen Situation deutlich mehr Aufwand verursachen, aber er bietet die Chance, sich wertvolle Denk- und Ideenkapazität zu holen und auf Basis dieser geteilten Informationen bessere Entscheidungen zu treffen. Werden dann Anpassungen oder komplette Änderungen einer Entscheidung erforderlich, ist das leichter zu vermitteln, da die Mitarbeiter in den Prozess eingebunden sind und Transparenz herrscht. Um dies alles zu stemmen, ist es wichtig, dass Führungskräfte gut für sich selbst sorgen. Das heißt auch in ihrer Peer-Group Austauschmöglichkeiten schaffen und wahrnehmen. Kollegiale Beratung ist eine strukturierte Herangehensweise. Warum echte Zusammenarbeit für die Mitarbeiter wichtig ist: Wir alle befinden uns gerade in einer aufgezwungenen Veränderungsphase. Das erzeugt Unsicherheit. Inwieweit die Situation als Bedrohung oder Herausforderung wahrgenommen wird, hat großen Einfluss auf die psychische und physische Gesundheit und damit auch auf die Leistungsfähigkeit. Psychologieprofessor Lantermann beschreibt fünf Faktoren, die das Bedrohungserleben verstärken:
- Handlungsunsicherheit: Ich bin machtlos, ich kann nichts tun.
- Wissensunsicherheit: Ich verstehe nicht, was passiert.
- Zukunftsunsicherheit: Ich weiß nicht, wie es weitergeht.
- Folgenunsicherheit: Ich kann nicht abschätzen, was die Folgen der Situation oder meines möglichen Handelns sind.
- Unterstützungsunsicherheit: Ich fühle mich ausgegrenzt oder alleine gelassen.
Sich machtlos oder ausgeliefert zu fühlen, hat etwas mit der eigenen Perspektive zu tun. Der Austausch mit anderen und deren Sichtweise auf die eigene Situation zu hören, eröffnet uns neue Handlungsspielräume. Die Handlungsunsicherheit sinkt, die Selbstwirksamkeit steigt und das führt dazu, dass die Situation tatsächlich auch als Herausforderung wahrgenommen werden kann.
Ein wertschätzender und ergebnisorientierter Austausch
Auch hinsichtlich der Einschätzung der Situation, der weiteren Entwicklung und der Folgen erhalten wir durch Kollaboration unterschiedliche Perspektiven und neue Antworten. Wichtig ist, dass der Austausch ergebnisorientiert und wertschätzend moderiert wird. Dabei darf es auch Raum fürs Jammern geben. Über Ängste zu sprechen und zu hören, wie es anderen geht, ist gut für die Psychohygiene und stärkt den Zusammenhalt. Dann braucht es aber den Blick nach vorne. Zu erleben, dass die eigenen Beiträge als wertvoll betrachtet werden, fördert das Vertrauen in die eigenen Ressourcen. Neben dem Gefühl, Einfluss nehmen zu können, ist das der zweite wesentliche Faktor, wenn es darum geht, eine Situation als machbare Herausforderung zu erleben.
"Ich kann Einfluss nehmen und ich werde das schon irgendwie schaffen" – das ist der Treibstoff, um Veränderungen als Herausforderung anzunehmen. Wir produzieren ihn im Austausch mit anderen.
Die erlebte Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung führen Mitarbeitern vor Augen, dass sie nicht alleine sind. Das reduziert das Bedrohlichkeitserleben der Lage weiter. Mehr denn je muss das aktuelle Motto lauten: Mach’s gemeinsam!
Was Unternehmen jetzt tun können, um das neue WIR zu fördern
1. Begegnungsmöglichkeiten schaffen
... über Team- und Abteilungsgrenzen hinweg. Ein Zukunfts-Café funktioniert auch in Zeiten physischer Distanz. Hier tauschen sich Teilnehmer in wechselnden Kleingruppen per Videokonferenz zu einer vorgegebenen Frage aus. Daraus entsteht das Gefühl von Verbindung sowie Zugehörigkeit und ein gemeinsames Verständnis einer Situation.
2. Führungszirkel initiieren
... in denen sich die Führungskräfte austauschen und im Umgang mit der aktuellen Situation gegenseitig unterstützen können.
3. Innovationsmethoden nutzen
... um die verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen. Jetzt ist Zeit für den Einsatz von Design Thinking oder Design Sprints. Auch das geht online.
Was Führungskräfte jetzt tun können, um das neue WIR zu fördern
1. Nicht am Tool und an der Bequemlichkeit scheitern
In vielen Firmen sind die Voraussetzungen für Online-Zusammenarbeit noch nicht geschaffen oder die Mitarbeiter noch nicht in der Lage, damit umzugehen. Überlegen Sie gemeinsam, welche Möglichkeiten Sie haben und welche teilweise auch frei verfügbaren Tools in Frage kommen. Auch in einer Telefonkonferenz kann man sich austauschen. Jetzt heißt es Ausprobieren, Optimieren und Lernen.
2. Zum Kollaborations-Dirigenten werden
Sorgen Sie für Abwechslung in Ihren Meetings und nutzen Sie Strukturen, die den Austausch fördern und gleichzeitig die Selbstwirksamkeit erhöhen. Ganz besonders eignen sich dafür Methoden die als Liberating Structures bekannt sind. Sie sorgen dafür, dass die Beteiligten sich einbezogen und beteiligt fühlen. Damit können nicht nur schnell neue Ideen oder Strategien entwickelt werden, sie fördern auch das Bewusstsein für die eigene Handlungsfähigkeit. Die Methoden wurden von Keith McCandless und Henri Lipmanowicz zusammengetragen. Sie sind leicht zu erlernen, brauchen nur etwas Übung.
3. Psychologische Sicherheit bieten
Sorgen Sie in unsicheren Zeiten für psychologische Sicherheit. Es geht um den Glauben, dass man nicht bestraft oder bloßgestellt wird, wenn man Ideen, Fragen, Bedenken oder Fehler anspricht. Kommunikation ist eine komplexe Angelegenheit. Wir senden unsere Botschaft nur zu einem kleinen Anteil über die Worte. Der Großteil der Information fließt über Stimme und Körpersprache. Je nachdem, welchen Kommunikationsweg wir wählen, geht ein größerer oder kleinerer Teil der Information verloren. Das kann leicht zu Missverständnissen führen. Machen Sie sich und Ihren Mitarbeitern die Fallstricke von Remote-Kommunikation bewusst und plädieren Sie dafür, besonders achtsam zu sein. Behalten Sie im Blick, dass das Gefühl ignoriert zu werden, oft noch schlimmer ist, als kritisiert zu werden.
4. Informationsfluss und Transparenz fördern
Kommunizieren Sie mehr statt weniger, auch wenn es Zeit und Mühe kostet. Teilen Sie Ihr Wissen. Stellen Sie Fragen. Wählen Sie Tools, die Informationen für möglichst viele verfügbar machen und die gleichzeitig den Austausch dazu fördern, weil direkt kommentiert werden kann, wie zum Beispiel bei Slack. Schaffen Sie Transparenz, indem Sie ein Team-Kanban-Board für die Aufgabenverwaltung einführen. Online-Tools dafür sind beispielsweise Trello oder Factro.
5. Sich selbst und Meetings regelmäßig mit dem WIR-Stuhl prüfen
Geben Sie dem WIR eine Stimme, indem Sie einen WIR-Stuhl einführen. Während eines Meetings kann sich jeder Teilnehmer zu jedem Zeitpunkt auf diesen Stuhl setzen und dem WIR eine Stimme geben. Durch das Verlassen des Ich-/Du-Fokus nehmen wir statt einer polarisierenden Sichtweise eine übergeordnete Perspektive ein, die uns hilft, neue, gemeinsame Lösungen zu finden. Fragen Sie auch sich selbst immer wieder, was würde das WIR zu meiner Vorgehensweise sagen?
Was wir alle tun können, um das neue WIR zu fördern
1. Kommunikation pflegen
Lassen wir die physische Distanz nicht zur sozialen Distanz werden. Dass wir miteinander reden können – auf welchem Weg auch immer – macht uns zu Menschen. Kollaborative Gesprächspartner zeichnen sich dadurch aus, dass sie andere aktiv zu deren Meinung und Ideen befragen, gut zuhören und ihr Wissen aktiv teilen. Das ist uns nicht in die Wiege gelegt, sondern bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Ob Kommunikation funktioniert, lässt sich leicht überprüfen mit der Frage: Sind wir noch im Dialog? Wenn Sie den Eindruck haben, dass das nicht der Fall ist, fragen Sie sich, ob Sie selbst etwas ändern können. Und wenn nicht, bringen Sie diese Frage in das Gespräch ein und finden Sie gemeinsam mit Ihrem/Ihren Gesprächspartner/n heraus, wie Sie den Dialog wiederherstellen.
2. Geber-Mentalität leben
Gerade jetzt erleben wir, dass Geben erfüllt und glücklich macht. Wenn wir geben, wirkt das gegen das Gefühl, machtlos zu sein und nichts tun zu können. Gleichzeitig können wir uns dabei vorstellen, welche positiven Gefühle wir damit bei anderen auslösen und das erzeugt ein positives Gefühl für uns selbst. Geben und Nehmen ist ein soziales Grundprinzip und fördert das WIR.
3. Mildernde Umstände gewähren
Wir alle werden gerade aus unserer Komfortzone geschubst. Wir befinden uns in der Wachstumszone. Erwarten Sie nicht, dass jetzt alles sofort perfekt funktionieren muss. Geben Sie sich selbst und anderen "mildernde Umstände". Damit machen wir uns alle das Leben leichter und fördern das Bewusstsein für gemeinsame Erfolge.
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