Gastbeitrag von Michael Rossié

Reden können – Karriereboost, Lifehack und attraktives Berufsziel

Genauso ist es mit der Fähigkeit, Reden zu halten. Die fällt nicht wie Regen vom Himmel, und diejenigen, die nicht nass geworden sind, haben eben Pech gehabt. Reden kann man lernen. Es gibt Führungskräfte, die grausame Redner sind und trotzdem sehr erfolgreich. Eine Voraussetzung für das Berufsleben ist die Fähigkeit, eine gute Rede zu halten, also nicht.

Sorgfältige Vorbereitung lohnt

Die Arbeit, die professionelle Redende in ihre Vorträge stecken, wird erfahrungsgemäß deutlich unterschätzt. Ein Tag Vorbereitung pro Vortragsminute sind eher der Durchschnitt als die Ausnahme.  Viele arbeiten ein halbes Leben an einem Thema, bevor sie auf die Bühne gehen. Die Rede eines Profis kann deswegen auch sehr wertvoll sein. Wenn wir von einem Durchschnittshonorar von 2.500 Euro ausgehen, der Redende 100 Vorträge pro Jahr hält und das über zehn Jahre, sprechen wir über einen Umsatz von 2,5 Millionen. Da lohnt sich eine sorgfältige Vorbereitung.

Auf den Inhalt kommt es an

Es ist auch nicht schwer, eine gute oder sehr gute Rede zu halten. Sie müssen nur etwas haben, was die Menschen brauchen. Wenn Sie die Quartalszahlen verkünden, ist mir ganz egal, ob Sie das mit Trommelwirbel oder Artisten machen, die Hauptsache ist, ich bekomme die richtigen Zahlen. Wenn Sie in einer Beratung arbeiten, dann sollten Sie brillante Ideen haben oder als Steuerberater ein paar Tricks kennen oder als Produktentwicklerin etwas liefern, das Ihren Außendienst jubeln lässt. Schon wird jeder von einer guten Rede sprechen, auch wenn Sie die Hände durchgehend in den Hosentaschen hatten.

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Aber die Ansprüche steigen

Wenn die Konkurrenzfirma die Quartalszahlen so präsentiert, dass anschließend ein Ruck durchs Unternehmen geht und die Mitarbeiter vor Begeisterung durch die Stuhlreihen tanzen, ist das jedoch ein riesiger Unterschied zu langweiligen Folien mit unzähligen Bulletpoints und Koordinatensystemen mit viele Pfeilen, die nicht unbedingt ein Wachmacher sind. Der Markt und die Sehgewohnheiten für Vorträge ändern sich gerade rasant. Mitglieder eines Berufsverbandes professioneller Redner wie die German Speakers Association (GSA) stehen ganz schön unter Druck, wahrgenommen zu werden.

Bleibenden Eindruck hinterlassen

Die Zeiten, in denen man die Kunden zum Essen eingeladen hat, sind nicht nur aufgrund von Corona vorbei. Fortbildung ist angesagt, Gedankenspiele über die Zukunft, neue Ideen, die das Leben leichter machen, neue Erkenntnisse über Ernährung, Schlafgewohnheiten, Führung oder Kommunikation locken Menschen in Veranstaltungen oder vor den Bildschirm. Wenn Sie einmal Markus Hofmann oder Andreas Buhr, Volker Busch oder Margit Hertlein gesehen haben, das vergessen Sie so schnell nicht wieder. Der Zukunftsspeaker Eric Händler hat seit neuestem eine holografische Präsentation und steht nicht vor den Folien, sondern mittendrin.

Die Anzahl der Ausbildungen ist sprunghaft gestiegen, auch weil es für Speaker einen riesigen Markt gibt. Es gibt schon Menschen, die als Beruf angeben: „Keynote Speaker in Ausbildung“. Übertragen auf den Fußball hieße das: „In Ausbildung zum Mittelfeldspieler bei Real Madrid“.

Speaking ist offenbar als Berufsziel sehr attraktiv

Was für andere im Moment die Coronazahlen sind, sind für professionelle Redner die Ideen, eine Rede noch eindrücklicher zu machen, im Moment natürlich vor allem online: „Hast du schon ein „Atem mini“? Wer arbeitet mit einem Streamdeck? Kennt sich jemand mit OBS aus?“ Wir reden hier nicht von irgendwelchen Freaks, die sich mit diesen Dingen den ganzen Tag beschäftigen (die haben wir auch), sondern von ganz normalen Menschen, die jeden Tag darum kämpfen, ihr Speaking-Geschäft möglichst nahtlos in die Onlinewelt zu übertragen.

Speaker, die zwei Stunden vor einer Webkamera stehen, sind nicht mehr zukunftsfähig. Profis sollten vormachen, wie es geht (auch die GSA hat eine Akademie, in der man sich zum Speaker ausbilden lassen kann).

Würzmittel für Reden

• Fangen Sie möglichst schnell an. Wenn Sie Ihren Anfang haben, kürzen Sie nochmal. Sich freuen, dass alle so zahlreich erschienen sind, können Sie auch, ohne es zu sagen.
• Vielleicht fällt Ihnen ein magischer Moment ein? Zeigen Sie etwas (Film), bringen Sie etwas mit (Requisit), führen Sie etwas vor (mit einem Kollegen), demonstrieren Sie etwas (Zeichnung) oder spazieren Sie durch ein Hologramm.
• Oder Sie haben richtig schöne Folien, teilweise animiert, mit dreidimensionalen Elementen und emotionalen Bildern. Folien, bei denen Sie stolz sind, sie zeigen zu dürfen.
• Das Storytelling erlebt einen Boom. Was ist die Geschichte zum Produkt oder zur Dienstleistung? Geschichten, die jeder weitererzählen kann, sind modernes Marketing. Außerdem sind Geschichten auch für den Redner einfach zu erzählen.
• Wörtliche Rede macht jeden Vortrag besser. Beginnen Sie mit Sätzen, die Sie über Ihre Firma in den letzten Wochen gehört haben oder lesen Sie Kundenstimmen vor. Gerade bei viel Gegenwind kann es sehr helfen, zunächst mal laut zu sagen, was der Gegenwind denn flüstert.
• Erzählen Sie die Geschichten „auf Fallhöhe“. Sie können sagen, dass Sie geflogen sind, dann gefahren, dann gelaufen und dann standen Sie vor dem Tiger. Sie können aber auch sagen: „Es war der dritte Tag. Wir hatten nicht einmal auch nur die Schwanzspitze eines Tigers gesehen. Da hatten wir plötzlich eine Panne …“
• Denken Sie über einprägsame Sätze und Slogans nach. Wenn danach jeder Ihren Satz zitiert und er in der Firma die Runde macht, stärken Sie auch Ihre eigene Position im Unternehmen.
• Metaphern werten jede Rede auf. Yuval Noah Harari benutzt in seinen Weltbestsellern unzählige Metaphern, wie die von den landwirtschaftlichen Nutztieren als den „Rudersklaven in Noahs Arche“. Dr. Yael Adler bezeichnet in ihrem Buch „Hautnah“ die große Pofalte als „die Diva aller Körperfalten“.

Die Redekultur war noch nie so lebendig wie heute!

Das sind nur Beispiele. Wenn Sie die Welt erreichen wollen, sollten Sie sich was einfallen lassen. Der Einsatz lohnt sich, auch wenn Sie das nebenbei machen. Die Redekultur war noch nie so lebendig wie heute. Junge Menschen sind schon früh damit vertraut, ein Video von sich zu machen und ihre Ideen einer großen Menge von Menschen zur Verfügung zu stellen. Die erleben die Situation, dass einer redet und ein größerer Kreis hört zu, als ganz natürlich.

Von Rückmeldungen profitieren

Davon abgesehen, dass es viel mehr Spaß macht, wenn es klappt: begeistert klatschende Menschen, Kolleginnen, die einem gratulieren, ein nachfolgender Redner, der Kernaussagen aufgreift … Dieser Beruf ist nicht umsonst so beliebt. So viel direkte Rückmeldung bekommt man bei kaum einer anderen Tätigkeit. Aber die Rückmeldung bekommt man eben auch, wenn es daneben geht. Von daher kann man die Arbeit, die die Profis in ihre Reden stecken, auch als Schmerzvermeidung interpretieren. Spaß macht Vorträge halten vor allem dann, wenn man deutlich besser ist als die anderen.