Gastbeitrag von Martin Geiger
Selbstsabotage-Programm Inkonsequenz
Hilf ihnen, denn sie tun nicht, was sie wissen!
Es ist ein Trauerspiel. Der unzufriedene Mitarbeiter, der nicht kündigt, der Gründer, der nicht startet, der unglückliche Partner, der sich nicht trennt. Es gibt sie, die verhinderten Weltumsegler, Auswanderer, Golfspieler, Marathonläufer. Was sind die tausend kleinen Niederlagen, die unsere Entschlossenheit weiter aushöhlen? Die Diät, die morgen anfängt, die Meditation, die nächste Woche beginnt, der Fernseher, der kommenden Monat weniger läuft und die Sprache, die kommendes Jahr gelernt wird. Was ist mit den guten Vorsätzen, denen so gut wie nie Taten folgen? Zeit für Freunde, Familienbesuche, Telefonate, Auszeiten? Zu Beginn eines jeden Jahres mag uns im Einzelfall der Start diverser Vorsätze ja vielleicht noch gelingen, aber was ist mit Dranbleiben?
Konsequenz und die Gründe dagegen
Das Wort „Konsequenz" kommt von dem lateinischen Wort „consequi", was so viel bedeutet wie folgen oder erreichen. Hätte Inkonsequenz ausschließlich negative Eigenschaften, würde sie nicht so häufig zu Tage treten. Schließlich folgt jedes menschliche Handeln einer Intention. Irgendwelche Vorzüge müssen wir uns davon also versprechen? Manche Menschen vertreten den Standpunkt, dass man durch Inkonsequenz im Privatleben einen Ausgleich zum Beruf schaffen kann. Weil stets konsequentes Handeln sonst, wie bei einem überbeanspruchten Muskel, eine Art Ermüdungserscheinung nach sich zieht. Leben, statt immer und überall zu funktionieren, ist die Idee dahinter.
Gewohnheiten, die sich nicht ändern lassen
Gründe, warum das mit der Konsequenz nicht klappt, gibt es viele: Mangelnde Motivation, mangelndes Durchhaltevermögen und mangelnder Realismus ebenso wie sich weigern, Gewohnheiten zu ändern. Manchmal lassen wir uns auch von anderen dazu überreden, inkonsequent zu handeln oder machen selbst Ausnahmen und reden uns ein, dass diese vernachlässigt werden können. Mitunter kann Inkonsequenz ja auch etwas sehr Schönes sein. Inkonsequente Menschen lassen sich beispielsweise nicht von selbst aufgestellten Regeln einengen. Warum auch konsequent an etwas dranbleiben? Schließlich wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Die Schlüssel immer an die gleiche Stelle ablegen, die Arbeit nicht in der letzten Sekunde erledigen …? Pah. Den Kampf mit der Snooze-Taste fechte ich quasi schon die längste Zeit meines Lebens aus und er verbessert sich sicher auch im weiteren Verlauf nur marginal.
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Inkonsequenz oder der Druck von außen, der uns selbstdiszipliniert sein lässt
Manchmal sind wir selbst in unserer Inkonsequenz noch inkonsequent. Einige Teilbereiche an uns sind schon allein deshalb ziemlich gleichbleibend, weil wir es sonst im wahrsten Sinne des Wortes mit uns selbst kaum aushalten würden. So sind unsere Wertvorstellungen, politischen Sichtweisen oder Lieblingsvereine zum Beispiel Dinge, denen wir oft dauerhaft treu bleiben. Sie verleihen uns ein Gefühl von Stabilität und Verlässlichkeit. Quasi einen sicheren Hafen, ein vermeintlich festes Gerüst der Persönlichkeit. In den meisten anderen Bereichen allerdings sind wir unstet, schwanken zwischen Anflügen von Fleiß, Zielstrebigkeit, gesundem Lebenswandel und Fatigue, Antriebslosigkeit, Dauermüdigkeit.
Eigene Ziele werden nicht konsequent verfolgt
Es scheint fast, als gäbe es eine Art innerliche Balance, als sei uns nur durch Inkonsequenz in einigen Lebensbereichen die Fähigkeit gegeben, in anderen die erforderliche Selbstdisziplin aufzubringen. Leider sind anstehende Verpflichtungen, vielleicht der Abflug der Urlaubsmaschine oder ein wichtiger beruflicher Termin, eine weit stärkere Motivation für das unmittelbare Aufstehen als die eigenen Ziele. Warum ist das so? Ein Grund für diesen Unterschied ist Druck von außen. Lässt sich Inkonsequenz also mit innerem Druck begegnen? Vorübergehend sicher, als langfristige Strategie jedoch ist dieser Weg kaum geeignet, eine dauerhafte Verhaltensänderung zu bewirken. Weil es unserer Natur entspricht, Druck zu entgehen oder ihm auszuweichen, wenn wir nicht daran zerbrechen wollen.
Gekonntes Zusammenspiel innerer Widerstände
Inkonsequenz ist vielleicht nicht das mächtigste aller Selbstsabotage-Programme, sondern nur das Endresultat aus dem Zusammenspiel anderer Widerstände. Sie kann als „innerer Widerstand“ in verkleideter Form auftreten. Es gibt schier unzählige Möglichkeiten, nicht das zu tun, was zu tun ist:
- Prokrastination: Wir schieben den Start oder Abschluss einfach auf.
- Perfektionismus: Wir glauben, perfekt vorbereitet sein zu müssen, bevor wir anfangen.
- Alternativen: Das Vergleichen vieler Optionen verhindert das Festlegen auf eine.
- Informationen: das Fehlen vermeintlich wichtiger Informationen, um etwas anzufangen, abzuschließen oder zu entscheiden.
- Entscheidungsschwäche: Wir sind generell nur schwer in der Lage, Entscheidungen zu treffen.
- Angst: Wir haben, meist unbewusst, Angst vor dem Misserfolg oder Erfolg.
- Ausreden: Und natürlich gibt es jede Menge wohlklingender Ausflüchte.
Unsere innere Stimme – die Wesensart, die wir als naturgegeben annehmen – ist ein zweischneidiges Schwert! Wir können sie als Ausrede oder als Grund für unser Scheitern nehmen oder als Ansporn, die Hürde, die zwischen uns und unserer Exzellenz steht, zu überwinden. Weil unser Selbstbild keine Risse erhalten soll, verteidigen wir es mit aller Kraft. Wir werden zum Opfer der Geschichten, die wir uns selbst immer wieder als Ausflüchte erzählen. So wird die eigene Inkonsequenz irgendwann zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Mit fatalen Folgen für unser Selbstbewusstsein, das unseren Mut nährt. Und damit unsere Aufbruchstimmung, unsere Zuversicht, unsere Entschlossenheit und unser Durchhaltevermögen.
Der Anfang vom Ende: „Einmal ist keinmal!“
Unser internes Ausreden-Schema will uns glauben machen, dass „große Gründe“ Ausnahmen natürlich rechtfertigen und „kleine Gründe“ ja nicht so tragisch sind.
Beispielsweise ist es sowohl sinnvoller als auch einfacher, im Haushalt Dinge nach Gebrauch unmittelbar wieder an ihren Platz zurückzulegen. Und doch … „Ab morgen“ ist das beliebteste Argument, um eine Ausnahme zu begründen. „Die Zukunft ist die Ausrede derer, die in der Gegenwart nichts tun wollen“, lautet folgerichtig ein Zitat des britischen Schriftstellers Harold Pinter.
Schon in den Sprachmustern lässt es sich erkennen – sowohl Konjunktiv als auch Komparativ verhindern quasi die Durchführung von Beginn an: „Man sollte“ und „irgendwann müsste“ sind hierbei beliebte Formulierungen. „Wenigstens haben wir mal angefangen“, könnten wir versuchen, uns zu beruhigen. Doch leider stimmt das Gegenteil. Anzufangen, um an irgendeinem Punkt wieder die Segel zu streichen, hat weit verhängnisvollere Folgen, als gar nicht erst zu starten. Der Unterschied besteht darin, dass daraus sehr schnell eine Gewohnheit wird. Und sobald etwas quasi automatisch passiert, ist es leichter für uns, das Ganze als „nicht zu beeinflussen“ abzutun.
Der ständige Kampf mit sich selbst
Ob du wirklich konsequent sein sollst, musst du selbst entscheiden. Denn wer außer dir weiß, wie wichtig dir deine Ziele sind? Aus diesem Grund scheuen sich viele Menschen davor, sich öffentlich festzulegen, denn damit würde auch die Inkonsequenz sichtbar. So kommt es, dass es sich für Meister der Selbsttäuschung – vordergründig – sogar besser anfühlt, sich erst gar kein Ziel zu setzen, als sich im Anschluss eingestehen zu müssen, nicht danach zu handeln. Was immer konsequent ist, sind die Ergebnisse, die unser Verhalten erzeugt. Was nicht bedeuten muss, dass uns das gefällt. Doch was sind die Folgen, wenn konsequentes Handeln regelmäßig auf der Strecke bleibt?
- Wir verärgern unser Umfeld
Verlässlichkeit ist für ein harmonisches Zusammenleben ebenso wie für erfolgreiche Zusammenarbeit von existenzieller Bedeutung. Denn nur konsequentes Verhalten erzeugt Glaubwürdigkeit. Das mag zunächst zwar anstrengend anmuten, bringt zugleich aber langfristig eine tiefe Befriedigung. - Das Vertrauen in uns sinkt (unser eigenes und das der anderen)
Konsequenz schafft eine Leitplanke für Partner und Familie, sie schafft Vertrauen und einen sicheren Anker. Auch in unserem persönlichen Umfeld können wir nur das einfordern, was wir vorleben. Andernfalls sinkt das in uns gesetzte Vertrauen dauerhaft – und zwar vor allem auch unser Selbst-Vertrauen. - Wir gewöhnen uns an den Zustand
Der verhängnisvollste Aspekt ist jedoch, dass wir uns an diesen Zustand fehlender Konsequenz gewöhnen und unsere eigenen Beteuerungen irgendwann selbst nicht mehr ernst nehmen.
Eine Frage der Integrität
Wie verpflichtet bist du deiner Sache? Wer, wenn nicht du selbst, sollte deine Mission ernst nehmen? Bist du bereit, alles zu tun, was erforderlich ist? Bist du bereit, Rückschläge in Kauf zu nehmen und dennoch zu handeln? Widerstände zu überwinden, wie sehr sie auch versuchen, dich vom Kurs abzubringen? Unter diesem Aspekt ist Inkonsequenz eine echte Sünde. Denn mit ihr gestehen wir uns selbst gegenüber ein, dass wir unsere Träume nicht ernst nehmen. Wenn wir bedenken, dass wir wahrscheinlich nur mit wenigen, einzigartigen Talenten gesegnet sind, ist es Teil unserer Lebensaufgabe, diese zu entdecken und zu nutzen. Übrigens müssen das keine besonderen Fähigkeiten sein. Nicht in jedem von uns steckt ein Weltraumforscher, Olympiasieger oder Bundeskanzler. Aber vielleicht der beste Vater, die beste Mutter, die bestmögliche Schwester, Bruder, Sohn, Tochter, Lehrer, Schüler, Coach, Partner, Nachbar, Rosenzüchter …
Warum Inkonsequenz Kraft raubt
Übrigens ist es irrelevant, wie andere deine Taten beurteilen. Der einzige Maßstab bist du selbst. Letztlich muss jeder Mensch jeden Tag aufs Neue entscheiden, ob es ihm wichtiger ist, nach seinen eigenen Vorstellungen zu handeln und diese konsequent zu verfolgen oder ob er gerne den bequemeren Weg geht. Letzteres konfrontiert uns mit unserer eigenen Unzulänglichkeit. Das wirft unbequeme, mitunter sogar unangenehme Fragen auf. Fragen, die wir uns nicht stellen wollen, weil wir unserer Inkonsequenz gewahr werden. Und fast schon gezwungen wären, zu handeln. Auf Dauer ist Inkonsequenz anstrengend. Besonders für die eigene Selbstwahrnehmung, denn sich jeden Morgen auf neue Pläne und Gedanken einzustellen, raubt Kraft. Deshalb: Mach Schluss mit Inkonsequenz!