Gastbeitrag von Anne M. Schüller
Brauchen Unternehmen ein neues Entscheidungsmindset?
Neulich in einem Seminar: Wie sprachen über unzeitgemäße Entscheidungsprozesse, Mitarbeitergängelei und interne Bürokratie. Bei uns kein Thema, hieß es. Gottseidank hat sich ein junger Mann mutig gemeldet. Er war gleich nach der Uni in diese Firma gekommen und hat uns von seinen ersten Tagen im Unternehmen erzählt.
Unzeitgemäße Entscheidungsprozesse
Zum Beispiel brauchte er für die Bestellung von neuen Batterien für die Computermaus ein im Intranet mühsam auffindbares Formular plus zwei Unterschriften. Wir haben mal kurz überschlagen: Dem Gegenwert von 2 Euro für die Batterien standen, konservativ gerechnet, 200 Euro Gesamtkosten gegenüber.
So sah unsere Rechnung aus:
Der Genehmigungsprozess (Antrag ausfüllen und 2 x genehmigen) | 50 Euro |
Entgangene Arbeitszeit für wichtigere Aufgaben (1 x 10 €, 2 x 20 €) | 50 Euro |
Temporär getrübte Motivation = Minderleistung beim Antragsteller | 40 Euro |
Verplemperte Arbeitszeit Dritter, die sich die Story anhören mussten | 60 Euro |
Beim schwedischen Streamingdienst Spotify, Weltmarktführer für Musikvermarktung mit derzeit mehr als 4.500 Mitarbeitern, sieht man das hingegen so: Ein guter Mitarbeiter trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. Bei 10 Prozent seiner Entscheidungen liegt der Mitarbeiter daneben. Und zu 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er von der Sache mehr Ahnung hat.
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Kluge Köpfe einfach machen lassen
Erst wollen die Firmen die besten Mitarbeiter und dann werden diese geführt, als ob sie keine eigenen Entscheidungen treffen könnten. „Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“ Diese Aussage stammt von Steve Jobs.
Doch im Kreis klassischer Führungseliten bleibt man gern unter sich. Wäre es denn nicht viel besser, wenn sowohl die Führungskräfte als auch die Geschäftsleitungsmitglieder die jeweils profundesten internen Profis zwecks Experteneinschätzung direkt konsultieren könnten? Idealerweise geschieht dies in Einzelgesprächen und auch im Rahmen von strategischen Meetings. Bislang sitzen dort aber meist nur die „Oberhäupter“ beisammen. „Niederrangige“ haben gar keinen Zutritt.
„Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können“ sagte Steve Jobs.
Auch dazu ein Beispiel: Im Geschäftsleitungsmeeting legt der „Head of Legal“ eine juristische Sache zur Entscheidung vor. Der HR-Leiterin leuchtet die Sache inhaltlich halbwegs ein. Doch den anwesenden Leitern Produktion, Marketing und Vertrieb fehlt jeglicher juristische Sachverstand. Zur Absicherung wird also ein Gutachten verlangt oder zwecks Evaluierung noch diese und jene Ergänzung gefordert. Das macht Entscheidungsprozesse langwierig und teuer.
Oder aber, genauso schlimm wie üblich: In Hinterzimmern werden nach dem Motto „Helfe ich dir, dann hilfst du mir“ Zweckbündnisse geschmiedet, die einseitige Interessen verfolgen, aber nicht der Sache dienen. Dabei gäbe es meist eine Person im Unternehmen, die alle notwendigen Detailkenntnisse hat, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Doch sie zählt zu den „unteren Chargen“ und ist deshalb im Meeting der Top-Entscheider nicht erwünscht.
Im Chefbüro bitte kein Micromanagement
Gute und zügige Entscheidungen sind für jedes Unternehmen lebensnotwendig. Sie sind die Voraussetzung für den Erfolg. Klar, Entscheidungsträger weit oben waren zu Zeiten von Massenproduktion, Standardprozessen und Kontinuität allgemein üblich. Ist das Umfeld hingegen komplex und dynamisch, werden sie zum Flaschenhals einer Organisation. Deshalb gehören operative Entscheidungen nicht in die Führungsbüros.
Neue Ära braucht neue Entscheidungskultur
Vormarsch, individualisierte Dienstleistungen und hohes Tempo sind nur dort machbar, wo zwischen Entscheidung und Umsetzung möglichst wenig Zeit vergeht. So braucht eine neue Ära auch eine neue Entscheidungskultur. Im Führungsverständnis von heute geht es nicht mehr darum, Entscheidungen vorzugeben, sondern darum,
- gemeinsam getragene Entscheidungen herzustellen,
- operative Entscheidungen in die Teams zu verlagern.
Viele Obere meinen allerdings immer noch, sie müssten alles selber wissen, alles selber können und ihren Leuten sagen, wie die Dinge zu laufen haben. „Edelsachbearbeiter“ werden sie gerne genannt. Micromanagement ist ihr Markenzeichen. Denn ihr Selbstbild verbietet es ihnen, die Zügel aus der Hand zu geben. Ihr Ego hat Sorge um Machtverlust oder Angst vor dem Zeigen von Schwäche.
Formale Machthierarchie oder Sachkompetenz?
„Wer Kompetenzen einschränkt, verringert den Anreiz für Mitarbeiter, zu träumen, zu fantasieren und sich einzubringen“, sagt der Managementvordenker Gary Hamel. Sehr drastisch formuliert er auch dies: „Keine Funktion in Ihrem Unternehmen ist ineffizienter als das Management.“ Denn die vielen Genehmigungsschritte verlangsamen jede zeitnahe Reaktion. Mehr noch: „Je bedeutsamer eine Entscheidung ist, desto kleiner wird die Zahl der Personen, die sie anzweifeln können.“
Führungskräfte müssen zwar vieles wissen und kennen, aber nicht alles können. Entscheidungen weit weg vom Schuss gehen an der Lebenswirklichkeit sehr oft vorbei. Und genauso kommt das bei den Kunden auch an: reglementiert, uninspiriert, gequält, 08/15. Leider beschneiden viele Bosse gern die Befugnisse derer, die sie „unter sich“ haben, wollen zeigen, wo der Hammer hängt und wie der Hase läuft, weil das vermeintlich zu ihrer Obrigkeitsrolle gehört und ihnen das Gefühl von Wichtigkeit gibt.
Leistung fördern durch Verantwortung
Solches Tun macht die Menschen klein. Doch von kleingemachten Mitarbeitern kann man keine große Leistung bekommen. Und das wiederum ist höchst gefährlich. Denn fachliche Kompetenzen liegen heute vor allem bei den Spezialisten im Team. Wer die Tore schießt, sollte auch die dazu notwendigen Entscheidungen treffen. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip.
Wollen Mitarbeiter denn selbst entscheiden?
„Meine Mitarbeiter wollen gar nicht entscheiden“, das höre ich oft. „Oh doch“, ist meine Antwort, „wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann schon.“ Einer Studie der Haufe-Gruppe zufolge möchten 84 Prozent der 11.880 Befragten mehr Einfluss auf Entscheidungen im Unternehmen haben.
- 77 Prozent sagen: Das steigert meine Motivation.
- 42 Prozent denken, dass Entscheidungen so verbessert werden könnten.
- 29 Prozent meinen, dass das Unternehmen dann erfolgreicher wäre.
Das Potenzial ist also enorm. Klären Sie deshalb gemeinsam, wer welche Entscheidungsbefugnisse erhält, nach welcher Methode jeweils entschieden wird und wo die jeweilige Umsetzungsverantwortlichkeit liegt. Am besten machen Sie alles an einem Board transparent, damit nichts im Niemandsland landet.
Zunehmende Selbststeuerung führt zu besseren Ergebnissen
Die zunehmende Selbststeuerung schärft das Engagement und macht die Ergebnisse besser. Schnell kommt es zu einer fachlichen, menschlichen und motivatorischen Stärkung des Einzelnen. Weitere willkommene Nebeneffekte: Das Verständnis für Gesamtzusammenhänge im Unternehmen wächst, das unternehmerische Denken wird angeregt, der Wissenshorizont und die Expertise werden erweitert. So können die Beschäftigten sich beweisen und soziale Anerkennung erlangen.
Wer sich hingegen die Okays immer „oben“ abholen muss, bekommt all das nicht. Zu was das dann führt? Zunächst sinkt die Stimmung der Mitarbeiter, dann deren Anzahl. Zudem werden neue Talente rechtzeitig gewarnt und kommen erst gar nicht an Bord.
Das Buch zum Thema – auch als Hörbuch erhältlich
CAREERS LOUNGE BUCHTIPP:Anne M. Schüller, Alex T. Steffen: Die Orbit-Organisation In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft Gabal Verlag 2019, 312 Seiten, 34,90 Euro
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