CAREERS LOUNGE präsentiert: Carsten K. Rath (Teil 1)
CAREERS LOUNGE: Herr Rath, was bedeutet für Sie Service Excellence?
Carsten K. Rath: Wenn wir ein Produkt oder eine Dienstleistung erwerben sollte es als Basisleistung vollständig, ordentlich und pünktlich geliefert werden. Zweitens: Das Wichtigste ist die Haltung, das "Wie". Die Art und Weise, wie Service am Kunden, am Gast, am Patienten oder Mandanten geleistet wird. Und drittens – das ist eine neue Ebene –, die Lösungsebene: dem Kunden ein "Warum" zu geben. Der Kunde kauft heute, in der digitalen Zeit, kein Produkt mehr eine Lösung für sein "Problem" und er erwartet selbstverständlich eine herzliche, freundliche Haltung.
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Ein konkretes Beispiel: Wenn Sie zu Hause Bier trinken möchten, dann sind Sie gestern zu einem Discounter oder Supermarkt gegangen und haben sich ihr Bier ausgesucht. Sie haben entschieden, welches Produkt Sie wählen. Heute möchte ich jedoch mein Bier nicht mehr in einem Geschäft kaufen und mühsam in die Wohnung tragen, sondern ich möchte gerne, dass mir das Bier nach Hause ins Wohnzimmer geliefert wird. Nun kann ich jedoch nicht mehr frei nach dem Produkt entscheiden, wenn der Anbieter, der mir die Lösung bringt, nur drei, vier oder zehn verschiedene Biersorten zur Auswahl vorhält. Ich kaufe nicht mehr das Bier per se, sondern ich kaufe die Lösung für mein Problem. Drei Ebenen: was, wie und warum. Auf allen drei Ebenen muss Service funktionieren.
Wie wäre das in dem Fall des Biers? Wie sind die drei Ebenen?
Was ist das Produkt? Das Bier muss schmecken, kalt sein und so weiter. Wie ist die Art und Weise, in der es mir gebracht wird? Pünktlich. Der Mann, die Frau, die es ausliefert, ist freundlich. Warum kaufe ich das Bier, was ich jetzt trinke? Ich kaufe das Bier, weil es die Lösung meines Problems ist, das dieser Anbieter liefern kann. Also erst in zweiter Linie die Marke.
Ein ganz konkretes Beispiel: Ich bin ein großer Fan von "Clausthaler alkoholfrei". Der Lieferant, der mir mein Bier liefert, führt kein "Clausthaler". Er führt nur "Bitburger alkoholfrei". Jetzt bin ich bereit, meine Marke zu wechseln für die Convenience. Das Produkt tritt in den Hintergrund. Die Lösung, dass dieser Lieferant es mir nach Hause bringt, tritt in den Vordergrund. So verschieben sich im Moment die Wahrnehmungen von Service Excellence.
Das heißt, durch die Digitalisierung sind zusätzliche Anforderungen hinzugekommen?
Nein. Die Digitalisierung macht es für den Kunden und für den Dienstleister einfacher. Die Geschwindigkeit und Vielfalt der Daten, die wir erfassen und vom Kunden haben, gab es früher nicht. Heute sind wir in der Lage, aufgrund der vielen Daten punktgenau auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen. Deswegen ist die digitale Welt in allen Bereichen positiv zu sehen, da sie dem Menschen und dem Dienstleister, also Kunden und Lieferanten, das Leben leichter machen wird.
Wie ist es bei den stationären Einzelhändlern? Die haben sehr zu kämpfen durch die Digitalisierung und die Konkurrenz von Amazon und Co.
Absolut. So ist das im Leben. Als die Industrialisierung kam, hatten die Bauern zu kämpfen. Ich muss mich als stationärer Händler darauf einlassen und eine Nische besetzen, die anders ist als das, was die anderen bieten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich kann in den Konkurrenzkampf einsteigen oder ich kann Dinge anbieten, die andere nicht tun. Sie haben vollkommen recht. Der stationäre Handel wird in Zukunft große Schwierigkeiten haben und im Zweifel nur noch in der Nische überleben.
Das ist schon eine krasse Aussage.
Es ergibt keinen Sinn, immer zu lamentieren und zu jammern, statt intelligent zu handeln. Amazon hat ein disruptives Geschäftsmodell erfunden, das dem Kunden das Leben leichter macht. Damit sind sie Marktführer geworden. Sie waren einfach schneller und schlauer. Und nun jammern wir und sagen, "die bösen Amazon-Leute". Warum?
Das ist ein falsches Mindset. Richtig ist, unter dem Aspekt "Reverse Thinking" zu überlegen: Was kann ich tun, um den Kunden zu begeistern? Was sucht der Kunde? Welche Lösung begeistert ihn? Was ist meine Opportunität? Ich muss die Lösung des Kunden im Kopf haben und daraus mein Produkt oder meine Dienstleistung entwickeln und meine Mitarbeiter darauf einstellen, wachsam zu sein und zu schauen: Was ist die nächste Lösung, die mein Kunde sucht?
Es ergibt keinen Sinn, immer zu lamentieren und zu jammern, statt intelligent zu handeln! Richtig ist, unter dem Aspekt "Reverse Thinking" zu überlegen: Was kann ich tun, um den Kunden zu begeistern? Was sucht der Kunde? Welche Lösung begeistert ihn? Ich muss die Lösung des Kunden im Kopf haben und daraus mein Produkt oder meine Dienstleistung entwickeln.
Wie ist es mit den Mitarbeitern? Wie können Unternehmen aus Ihrer Sicht neue Mitarbeiter gewinnen und vor allen Dingen nicht verlieren?
Wir leben auch hier in einer sehr gespaltenen Welt. Alle Menschen jammern über Führungskräfte- und Fachkräftemangel. Der ist in vielen Branchen dramatisch, das erlebe ich selbst. Doch würde ich mir wünschen, dass allen voran unsere Politiker mal über den Horizont hinausschauen.
Aufgrund der Digitalisierung erleben wir eine Veränderung des Arbeitsmarktes. Gerade hat BMW bekannt gegeben, dass sie sechstausend Stellen freistellen, Siemens hat 25.000 Menschen freigestellt, etc. – das ist erst der Anfang! Das heißt, die Zeiten der Vollbeschäftigung sind bald vorbei. Aufgrund der Digitalisierung brauchen wir die Produktion nicht mehr so wie früher.
Neue Menschen im Alter von dreißig bis fünfzig Jahren mit einer Ausbildung in analogen Berufen fallen aus dem Arbeitsmarkt heraus, weil wir sie in der analogen Welt nicht mehr beschäftigen können. Diese Menschen könnten ja ein Teil der Lösung des Fach- und Führungskräftemangel sein. Wir beschäftigen uns jedoch mit den Phänomenen nur jammernd. Auf der einen Seite wird gejammert, es gibt keine Fach-, es gibt keine Führungskräfte. Auf der anderen Seite, die Digitalisierung setzt so viele mechanische Berufe frei. Beides ist richtig.
Man muss jedoch schauen, dass man beides übereinandergelegt bekommt. In der Automobilindustrie: Wo werden wir zukünftig unsere Autos kaufen? Sicherlich nicht mehr in Industriegebieten und dort, wo es Kfz-Mechaniker gibt, die auf Hebebühnen etwas reparieren. Wir brauchen keine Hebebühnen mehr. Der einzige Grund, warum wir zukünftig eine Hebebühne brauchen, ist, um Reifen zu wechseln. Wenn sie heute bei Tesla ein Auto kaufen, finden sie den Tesla-Store zwischen dem Louis Vuitton und dem Gucci Geschäft. Warum? Weil der eine ganz andere Ausrichtung hat. Dort wird das Auto digital behandelt. Der Motor ist etwas ganz anderes. Ich brauche keinen Kfz-Mechaniker mehr. Darauf müssen wir uns einstellen, es wird so kommen. Es hilft nichts, zu jammern. Es hilft nichts, dafür Werbung zu machen, weitere Kfz-Mechaniker auszubilden. Stattdessen sollte man darauf schauen, wie sich entwickelt die Industrie weiterentwickelt und welche Autos wir zukünftig fahren werden.
Was kommt aus Ihrer Sicht auf junge Führungskräfte zu?
In meinem Buch "Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort" beschreibe ich, dass wir heute nicht mehr über die klassischen Hierarchien führen. Früher gab es Anweisungen vom Chef, von oben nach unten. Heute kann man nur noch erfolgreich über Beziehungen führen. Das ist ein Unterschied und gleichzeitig eine Riesen-Chance. Denn die neuen, jungen Führungskräfte werden lernen, ihre soziale Kompetenz viel mehr zu nutzen als früher, sie werden über soziale Kompetenz Beziehungen zu ihren Netzwerken aufbauen.
Die Führungskraft von morgen ist in der Lage, Freiheit zu geben und Vertrauen zu schenken, und gleichzeitig Leitplanken einzuziehen, denn Freiheit ist keine Anarchie. Die Leitplanken der Freiheit sind Verantwortung.
Es wird nicht mehr an einem Ort gearbeitet, sondern an vielen verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten, was ich hierarchisch nicht mehr kontrollieren kann. Die Alternative zur Kontrolle ist: Freiheit geben, Vertrauen säen. Die Führungskraft von morgen ist in der Lage, Freiheit zu geben und Vertrauen zu schenken, und gleichzeitig Leitplanken einzuziehen, denn Freiheit ist keine Anarchie. Die Leitplanken der Freiheit sind Verantwortung.
Sie haben Freiheit, Vertrauen und Verantwortung genannt. Gibt es bereits solche Unternehmen, wo man das sehen kann?
Viele solche Unternehmen begegnen mir bei meinen Management-Beratungs-Mandaten, und zwar nicht nur im digitalen Bereich und bei den Startups, sondern überall. Man muss nur genau hinschauen. Ich kann Ihnen eine große Kette nennen: Schauen Sie sich mal an, wie "dm Drogeriemarkt" geführt wird. Die Philosophie von "dm" ist großartig, weil sie es schaffen, eine Führungsebene aufzubauen, die völlig anders funktioniert als bei den althergebrachten hierarchischen.
Buchtipp
Lesen Sie das Buch von Carsten K. Rath: Schluss mit Everybody's Darling! Warum wir besser leben, wenn wir uns nicht mehr für andere verbiegen: zum Buch
